Zwischen Melancholie und Hoffnung
Choumara Joseph ist das erste Patenkind, das ich
zusammen mit Wilfried während meines Aufenthalts im Kinderdorf besuche.
Praktikantin Melanie und ich hatten die Besuche unter uns aufgeteilt, da wir
uns beide sehr für die Arbeit der Lebensmission in diesem Bereich
interessierten. Endlich war es soweit. Ich hatte mich mit Wilfried auf 16 Uhr
nach der Kirche, Mittagessen und seiner Team-Sitzung verabredet. Eine viertel
Stunde zu spät – also für haitianische Verhältnisse pünktlich – holt er mich
mit seinem „Moto“ vor Helgas Haus ab. Die holprigen Straßen von Gonaives führen
uns in eine Seitenstraße nahe gelegen des Kinderdorfes. Wilfried ist einer der
vier zuständigen Mitarbeiter, die sich um die Vermittlung und Instandhaltung
der Patenschaften kümmern und er nimmt seine Arbeit ernst. Anfänglich etwas
schüchtern taut Choumara schnell auf, in dem Wilfried mit seinen Späßchen und
Aufmunterungen das Eis zwischen uns bricht. Mein Kreole ist noch immer etwas
brüchig, dennoch schaffe ich es, mich mit der 25-Jährigen (*12.09.1987) zu
verständigen und ihr zu erklären, weshalb ich hier bin. Die Hütte, in der
Choumara zusammen mit ihrer Mutter und ihrer 13-jährigen Schwester Esther wohnt
sehe ich nur von außen. Typisch haitianische Backsteinhütte mit Wellblechdach
und einem Vorhang anstelle einer Tür. Den Hof teilen sie sich mit der
Nachbarschaft, die wie Ameisen neugierig aus sämtlichen Winkeln hervorkriechen.
Immer mal wieder ein verstohlener Blick. Große Augen der beiden Kleinkinder,
die friedlich wenige Meter von uns entfernt zusammen spielen.
Making a difference
Choumara entpuppt sich als ein sehr ruhiges und
freundliches Mädchen, das offenbar sehr dankbar für die finanzielle
Unterstützung ihrer deutschen Eltern ist. Ich frage sie, auf welche Schule sie
geht und sie erzählt mir, dass sie im ersten Semester Wirtschaftswissenschaften
studiert. „Und, bist du gut darin?“ frage ich sie augenzwinkernd. Sie guckt
mich an und ein kaum sichtbares Lächeln umspielt ihre Lippen. „Komme si, komme
sa“ antwortet sie mir. Mal so mal so. Ich muss schmunzeln und denke mir, dass
sich in diesem Punkt wohl alle Schüler einig sind: Schule ist kein Ponyhof und
das Leben schon gar nicht. Stehen wir in Deutschland schon unter ständigem
Leistungsdruck und haben Angst um unsere Zukunft – was muss erst einem
haitianischen Kind durch den Kopf gehen. Viele Kinder können überhaupt nicht
zur Schule gehen, da es schlichtweg an finanziellen Mitteln dafür fehlt. Eine
solche Patenschaft, wie Choumara sie erhält ist daher Gold wert. Ich bitte sie,
mir ein bisschen mehr von
sich zu erzählen und versuche, Wilfried,
dem offenbar die Zeit drängt, auszublenden. Sie sieht erst zu mir, dann zu
ihrem Mentor, dann wieder zu mir und zuckt mit den Achseln. Sie wüsste nicht,
was. Ich nicke ernüchtert. Ob sie denn ihren Paten etwas mitteilen möchte,
ihnen einen kleinen Brief schreiben zum Beispiel, frage ich und blicke sie
aufmunternd an. Die junge Frau erklärt sich einverstanden und beginnt, in
meinen Notizblock zu schreiben. Immer mal wieder hält sie inne, überlegt und
fragt ihre jüngere Schwester, die mittlerweile dazu gestoßen ist um Rat
bezüglich der Rechtschreibung. Wilfried fordert sie immer wieder auf, sich zu
beeilen und blickt ihr über die Schulter, während sie schreibt. Nachdem
Choumara fertig geschrieben hat, bitte ich sie und ihre Schwester noch um ein
zwei Fotos für ihre Paten. Schließlich verabschieden wir uns und brettern auf
Wilfrieds Moto wieder Richtung Kinderdorf. Es war eine tolle Erfahrung, aus
erster Hand mitzubekommen, wie mit so wenig Aufwand ein solch großer
Unterschied gemacht werden kann. Zu sehen, wie wenig Glück eigentlich bedarf.(Miriame Sch., in Haiti geboren und in Deutschland aufgewachsen, besuchte im Frühjahr 2012 erstmals ihr Geburtsland)
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