(Savanne désolée, 05.09.08)
Meine Lieben,
ich melde mich ein weiteres Mal, heute, Freitag, 5. September, mit einigen Informationen, die ihr vielleicht im Internet gelesen habt.
Erlaubt mir, dass ich mich so ausdrücke: Ich hätte es vorgezogen, während dieses großen Ereignisses, das mir, wenn ich das alles sehe, Kopfschmerzen bereitet, nicht hier zu sein. Nachts schlafe ich keine 2 Stunden. Ich lege mich spät hin und erwache früh.
Der Tag des 4. September lässt an einen Hoffnungsschimmer denken. Der Himmel klarte auf und die Sonne kam zeitweilig durch. Der Regen hörte auf zu fallen, und an manchen Stellen begann das Wasser zu fallen. Nicht identifizierbare Gerüche begannen die Nase zu verstopfen. Überall in den Straßen laufen jetzt Leute hin und her und versuchen in ihre Häuser zu kommen, die durch die Kraft des Wassers noch verschlossen sind. Allrad-Fahrzeuge können an manchen Stellen schon fahren.
An einigen Orten, wo das Wasser nicht zu hoch stand, versuchen die Besitzer von Lebensmittellagern in ihre Lager zu kommen um die Schäden zu prüfen. Aus den Lagern von Reis und Erbsen riecht es schon. Es wird auf die Straße geworfen, die Leute weinen durch den aufsteigenden Gestank. Alles ist verloren. Man kann die beträchtlichen Schäden in der Lebensmittelversorgung gar nicht abschätzen.
Ich bin durch einige Gegenden gelaufen, dort wo es ging, und habe nicht identifizierbare Tote, auch tote Tiere wie Ziegen, Schweine, Katzen gesehen. Überall auf der Straße kann man Rufe hören wie „Jeanne war nicht so schlimm.“ „Jeanne“ war nichts im Vergleich zu „Hanna“. Es ist wirklich schrecklich. Gonaives ist vollkommen überflutet. Flutwasser stürzt riesige Bäume um. In einigen Gegenden sind die Häuser vollkommen verwüstet, entweder durch das Wasser oder durch den Wind. Selbst solche, die höher gelegen sind, fielen dem zum Opfer.
Ich habe den Eindruck, dass die Stadt Gonaives isoliert ist. Die Straßen nach Norden sind unterbrochen. Nach Cap, Port-de-Paix und Gros-Morne können keine TapTaps fahren, weil die Brücken zerstört sind. Die Straße aus Anse-Rouge, im Nordwesten von Gonaives, ist blockiert. Gonaives bleibt ohne Hilfe von außen. Derzeit können uns nur Helicopter Hilfe bringen.
In Savanne Désolée konkurriert „Hanna“ mit dem 2004 durch „Jeanne“ entstandenen großen See. Seit der Zeit nach 2004 überquert eine Brücke die Savanne Désolée. Eine Brücke von fast 4 m Höhe, jetzt von „Hanna“ bedeckt. Man sieht sie nicht einmal mehr. Eine Organisation namens FOOD FOR THE POOR setzt mit zwei verfügbaren Booten nur Frauen, Kinder und Alte über. Man ist wie in einem Konzentrationslager.
Aber die Kleinhändler von Süßwaren und kleinen nützlichen Dingen möchten die Zeit jetzt nutzen um reich zu werden. Einige Läden weiter oben, die ein Lebensmittellager hatten, erhöhen die Preise auf das Doppelte.
Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Montag Nacht wurde aus unserem Kinderdorf ein Flüchtlingslager. Seit Montag versorgen wir bis heute 120 Personen. Unsere Häuser sind voll und es gibt keinen Platz mehr, noch mehr aufzunehmen. Andere Personen, denen wir schon bei „Jeanne“ zu essen gegeben hatten, kommen um etwas zu essen zu bekommen.
Am Freitag Morgen bin ich früh aufgestanden und habe in höheren Gebieten versucht, ein Lager zu finden. Ich bin bis Poteau gefahren, einen Ort ungefähr 8 km von Gonaives entfernt. Vor dem Hurrikan kam man für 2 hD nach Poteau. Jetzt muss man mehrfach umsteigen. Einen Teil des Wegs muss man zu Fuß gehen. Man muss dabei durch Wasserlöcher hindurch.
In Poteau konnte ich ein Lebensmittellager finden. Ich konnte einen Teil von dem kaufen, was ich brauchte. Aber der Transport durch die Löcher war sehr schwierig. Ich konnte zwei Sack Reis, einen Sack Mais, eine Kiste Öl und einige Dosen Erbsen kaufen. Erst gegen 14 h kam ich, unterwegs seit 9.30 h, wieder im Kinderdorf an.
Die Banken sind noch geschlossen. Man lebt im Stress. Aber wir haben keine Angst. Wir leben mit großer Hoffnung.
Was die Bevölkerung von Gonaives derzeit beschäftigt, ist die Ankündigung, dass am Sonntag eventuell der Hurrikan „Ike“ kommt.
Ich kenne euch sehr gut und weiß, dass ihr für uns betet. Eure Gebete bewirken schon viel und sie werden noch größere Dinge bewirken.
Meine Grüße an alle,
Joe
(Joseph Aristhyl ist der haitianische Leiter der LEBENSMISSION e.V. "Jesus für Haiti" in Gonaives, wo er seit mehr als 20 Jahren im Kinderdorf arbeitet)
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